Der französische Neurologe und Psychiater Georges Gilles de la Tourette beschrieb das Krankheitsbild zum ersten Mal im späten 19. Jahrhundert. Untersuchungen zufolge betrifft die neurologische Erkrankung typischerweise Kinder im Vorschulalter und kann sich im Laufe der Zeit verbessern, sich aber auch verschlimmern.
Was ist die Ursache des Tourette-Syndroms?
Die genauen Ursachen des Tourette-Syndroms sind nicht bekannt. Wahrscheinlich ist es eine Kombination aus genetischen, neurobiologischen und Umweltfaktoren. So gibt es durchaus Hinweise darauf, dass das Tourette-Syndrom eine genetische Komponente haben könnte. Studien haben gezeigt, dass das Risiko, das Syndrom zu entwickeln, höher ist, wenn ein direktes Familienmitglied ebenfalls erkrankt ist.
Neurobiologische Faktoren scheinen ebenfalls eine Rolle zu spielen, indem eine Störung in Regelkreisen des Gehirns vorliegen könnte, die Verbindungen verschiedener Hirnregionen (Stirnhirn, Basalganglien, limbisches System) darstellen. Zudem scheint auch eine Überaktivität des dopaminergen Systems als Ursache infrage zu kommen.
Umweltfaktoren, die das Tourette-Syndrom auslösen oder verschlimmern können, konnten noch nicht eindeutig identifiziert werden. Einige Studien schlagen vor, dass pränatale Belastungen wie Infektionen (z. B. Streptokokken-Infekt in der Schwangerschaft) an der Entstehung der Krankheit beteiligt sein könnten.
Welche Symptome treten beim Tourette-Syndrom auf?
Im Rahmen des Tourette-Syndroms treten verschiedene Tics auf, die von den Betroffenen meist gar nicht oder nur kurzfristig unterdrückt werden können. Unterschieden werden die Tics in motorische Tics (unwillkürliche Bewegungen), wie zum Beispiel im Gesicht mit Augenzwinkern, Augenblinzeln, Naserümpfen oder Grimassieren sowie in vokale Tics (unwillkürliche Lautäußerungen), wie beispielsweise Räuspern, Hüsteln, Schnalzen oder Grunzen.
Darüber hinaus zeigen einige Betroffene auch Tics wie die Wiederholung von Wörtern oder Sätzen (Echolalie), ahmen Bewegungen von anderen nach (Echopraxie), sprechen obszöne Wörter und Schimpfwörter aus (Koprolalie/Kopropraxie) oder sprechen eigene Wörter/Silben nach (Palilalie). Zudem können auch komplexe Tics auftreten, die sowohl motorische als auch vokale Elemente enthalten.
Einteilung in Schweregrade
Die Tics beginnen typischerweise im Kindesalter von vier bis sechs Jahren und nehmen an Schwere zu. Bei Kindern im Alter von zehn bis zwölf Jahren erreichen sie dann meist ihren Höhepunkt und nehmen in der Jugend/Pubertät langsam ab. Oftmals verschwinden die meisten Tics dann irgendwann spontan. Nur ungefähr ein Prozent der Kinder leidet auch im Erwachsenenalter unter Tics. Dabei erfolgt die Einteilung in Schweregrade mithilfe der Tourette-Syndrom-Globalskala (TSGS):
- Gering ausgeprägt: Außenstehende bemerken die Tics kaum und sie werden nicht als Belastung oder Beeinträchtigung empfunden. Auch in der Schule beeinträchtigen die Tics nicht das Verhalten. Eine Behandlung ist nicht notwendig.
- Mäßig ausgeprägt: Das Ausführen von Tätigkeiten wird von der Ticstörung teilweise beeinträchtigt. Außenstehende nehmen die Tics wahr und Probleme in der Schule können auftreten.
- Schwer ausgeprägt: Die Tic-Störungen sind sehr auffällig und beeinflussen die Leistungsfähigkeit in der Schule sowie soziale Kontakte. Hier ist häufig eine Behandlung erforderlich.
Häufig wird das Tourette-Syndrom von anderen Erkrankungen begleitet, wie zum Beispiel dem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), Zwangsstörungen, Angststörungen oder Depressionen.
Behandlung des Tourette-Syndroms
Eine Heilung des Tourette-Syndroms ist bislang nicht möglich. Welche Therapieansätze infrage kommen, hängt vor allem davon ab, wie stark der Leidensdruck und die psychische Belastung für den Patienten ist. Während sich der eine Mensch von der Tic-Störung kaum gestört fühlt, können für einen anderen bereits leicht ausgeprägte Tics belastend sein. Deshalb erfolgt in der Regel zunächst eine sogenannte Psychoedukation, bei der der Patient und seine Angehörigen über das Krankheitsbild und die Prognose informiert werden. Allein diese Aufklärung kann bereits eine Entlastung zur Folge haben, sodass die Tic-Störung besser toleriert wird.
Nicht-medikamentöse Therapiemöglichkeiten
Zu den Behandlungsempfehlungen gehörten in der Regel eine Verhaltenstherapie und ein Achtsamkeitstraining. Hierbei lernen die Tourette-Patienten, ihre Tics besser zu kontrollieren. Hilfreich kann hier vor allem das Habit Reversal Training (HRT) sein, das darauf basiert, dass Verhaltensauffälligkeiten zum größten Teil nicht bewusst stattfinden, sondern „erlernt“ werden und irgendwann automatisch ablaufen. Im HRT arbeiten die Patienten dann an ihrer Selbstwahrnehmung und versuchen, den automatischen Ablauf zu durchbrechen.
Sollte zusätzlich eine Zwangsstörung vorliegen, kann eine Expositionsbehandlung sowie eine Response-Prävention zum Einsatz kommen. Oftmals kündigen sich die Tics durch ein Vorgefühl, wie zum Beispiel ein Kribbeln an. Im Rahmen dieser Therapie lernen die Betroffenen dann, dass auf dieses Gefühl nicht auch zwangsweise ein Tic folgen muss.
Darüber hinaus können Entspannungsverfahren dabei helfen, Stress abzubauen, um die Symptome des Tourette-Syndroms zu lindern.
Behandlungsmöglichkeiten mit Medikamenten
Bei sehr ausgeprägten Tic-Störungen und schweren Symptomen kann die Gabe von Medikamenten empfohlen werden, die auf den Dopaminstoffwechsel im Gehirn abzielen. Diese Dopaminrezeptor-Antagonisten binden sich an die Dopaminrezeptoren und blockieren sie für das Dopamin.
Antipsychotika (Neuroleptika) wie Haloperidol, Sulpirid, Pimozid, oder Risperidon sind hier die Medikamente der ersten Wahl. Behandlungen mit weiteren Substanzen wie Clonidin, Topiramat, Aripiprazol, Tetrabenazin, Atomoxetin oder Botulinumtoxin sollen sich ebenfalls positiv auf Tics auswirken. Problematisch an diesen Arzneimitteln ist jedoch, dass sie starke Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Müdigkeit, Schlafstörungen, Schwindel, Gewichtszunahme, Bewegungsstörungen und sexuelle Funktionsstörungen, auslösen können.
Patienten mit Tourette-Syndrom, die zusätzlich unter einer starken Depression oder einer Angststörung leiden, erhalten dann im Rahmen der Therapie oft noch weitere Medikamente wie Antidepressiva (z. B. Fluoxetin oder Sertralin), wobei auch hierunter unerwünschte Wirkungen auftreten können.
Operativer Eingriff bei Tic-Störungen
Bei erwachsenen Menschen, deren Alltag durch die Krankheit stark beeinträchtig ist, und medikamentöse Therapien keine Besserung erbracht haben, können sich einem chirurgischen Eingriff unterziehen. Die Tiefe Hirnstimulation (THS) wird oftmals bei Parkinson-Patienten durchgeführt, wenn die Symptome eine starke Ausprägung haben.
Bei der Tiefenhirnstimulation („Deep brain stimulation“) werden Elektroden ins Gehirn implantiert, um bestimmte Hirnregionen durch elektrische Impulse zu stimulieren. Diese Elektroden sind mit einem kleinen Impulsgeber verbunden, der chirurgisch unter die Haut gesetzt wird, meist in der Brust. Durch die Stimulation werden gezielt jene Hirnareale angesprochen, die an der Steuerung von Bewegungen und anderen Funktionen beteiligt sind.
Problematisch ist, dass unklar ist, welche Hirnareale bei welchem Patienten stimuliert werden müssen, weshalb der Behandlungserfolg unterschiedlich ausfällt. Während die Hirnstimulation bei einigen Menschen die Symptome nahezu vollständig verschwinden lässt, verspüren andere wiederum keine Linderung der Symptomatik.
Medizinisches Cannabis als alternative Therapie
Viele Betroffene haben die Erfahrung gemacht, dass Cannabis ihre Ticstörung lindern kann. Zwar ist der genaue Wirkmechanismus noch nicht entschlüsselt, es wird jedoch davon ausgegangen, dass hier der Cannabinoid-Rezeptor 1 (CB1) eine bedeutende Rolle spielt. Dieser lässt sich in einer hohen Dichte in Tourette-assoziierten Hirnarealen wie den Basalganglien nachweisen. Dieser wird vor allem durch das Cannabinoid Tetrahydrocannabinol (THC) aktiviert, weshalb THC-reiches Cannabis nützlich sein könnte.
Interessant ist eine Online-Umfrage der Hannover Medical School, an der 98 Betroffene mit dem Tourette-Syndrom teilnahmen.[1] Während 60 Teilnehmer Cannabis für Freizeitzwecke nutzten, erhielten 38 Teilnehmer medizinisches Cannabis (Dronabinol, Nabiximols oder medizinische Cannabisblüten). Alle Betroffene berichteten über eine subjektive Verbesserung der Ticstörung. Zwar seien unerwünschte Nebenwirkungen aufgetreten, diese seien jedoch erträglich gewesen.
Darüber hinaus konnte in einer Studie beobachtet werden, dass THC-reiche medizinische Cannabisblüten sowohl wirksamer als auch besser verträglicher seien als Dronabinol oder Nabiximols, was vermutlich mit dem Entourage-Effekt zusammenhängen könnte. Dieser Begriff stammt aus der Cannabis-Forschung und besagt, dass die Kombinationen aus Cannabinoiden, Terpenen und weiteren Inhaltsstoffen aus der Cannabispflanze synergetische Effekte entfalten und eine bessere Wirkung erzielen können als eine einzelne Substanz, wie zum Beispiel Dronabinol (reines THC).
Einzelfallstudien mit Nabiximols
Nabiximols, hier besser bekannt als Sativex (Mundspray; 1 Sprühstoß = 2,7 mg THC/ 2,5 mg CBD), zeigte sich bei einem Tourette-Patienten als wirksam. Dieser wendete das Spray vier Wochen lang zweimal täglich an und berichtete, dass die Häufigkeit der Tics abnahm und sich die Schlafqualität verbesserte.[2]
In einer weiteren Einzelfallstudie erhielt der Patient zwei Wochen lang Nabiximols in aufsteigender Dosierung und auch hier berichtete der Patient von einer Verbesserung.[3]
Zusammenfassung: Tourette-Syndrom und Cannabis
Das Tourette-Syndrom ist eine neurologische Störung, bei der Betroffene unter wiederkehrenden unwillkürlichen Bewegungen und vokale Äußerungen (Tics) leiden. Die Ursachen des Syndroms sind nicht vollständig bekannt, jedoch spielen genetische, neurobiologische und Umweltfaktoren wahrscheinlich eine Rolle. Die Symptome reichen von motorischen Tics (unwillkürliche Bewegungen) wie Augenblinzeln bis zu vokalen Tics wie Räuspern oder obszönen Äußerungen. Dabei kann die Schwere der Erkrankung stark von Person zu Person variieren.
Eine alternative Therapieoption ist medizinisches Cannabis, das von vielen Betroffenen als wirksam erlebt wird. Studien haben gezeigt, dass Cannabis die Ticstörung und die Lebensqualität verbessern kann. Insbesondere THC-reiche medizinische Cannabisblüten scheinen effektiver und besser verträglich zu sein als andere Formen von Cannabisprodukten. Aber auch in Einzelfallstudien mit Nabiximols, einem Cannabis-basierten Medikament, haben ebenfalls positive Ergebnisse gezeigt.
Insgesamt deutet die aktuelle Studienlage darauf hin, dass medizinisches Cannabis mit seinen Cannabinoiden eine vielversprechende Therapieoption für Menschen mit dem Tourette-Syndrom sein könnte, jedoch sind weitere Studien erforderlich, um die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Behandlungsmethode besser zu verstehen.
Neurologische Erkrankungen und Cannabis als Medizin – hier gibt es einen umfassenden Überblick.
Die Inhalte dieses Artikels sind ausschließlich zu Informationszwecken bestimmt und stellen weder eine Beratung noch eine Anwendungsempfehlung für Medikamente, Cannabis oder andere Produkte dar. Auch dienen die Inhalte nicht zur Erstellung einer eigenständigen Diagnose oder Auswahl einer Behandlungsmethode. Für Schäden oder Ähnliches, die durch die Nutzung der Inhalte entstehen, kann Greensby weder direkt noch indirekt haftbar bzw. zur Verantwortung gezogen werden. Wir empfehlen grundsätzlich, das Gespräch mit einem Arzt zu suchen.
FAQ
Ist Tourette eine psychische Krankheit?
Nein, das Tourette-Syndrom (Gilles de la Tourette-Syndrom) ist keine psychische Krankheit, sondern gehört zu den neuropsychiatrischen Erkrankungen, bei der motorische und vokale Tics auftreten. In vielen Fällen wird die Erkrankung von weiteren Krankheiten wie ADHS, Depressionen, Angststörung oder einer Zwangsstörung begleitet.
Kann Tourette geheilt werden?
Das Tourette-Syndrom ist nicht heilbar. Ziel der Behandlung ist die Tic-Reduktion, bzw. die Häufigkeit und Intensität der Tics zu reduzieren. Maßnahmen wie eine Verhaltenstherapie oder Psychotherapie sowie Verfahren zum Stressabau und zur Förderung der Entspannung können eine Verminderung der Tics erzielen. Für die Behandlung von Tics stehen zudem verschiedene Medikamente zur Verfügung.
Wie wirkt Cannabis bei Tourette?
Beim Tourette-Syndrom ist medizinisches Cannabis eine vielversprechende Behandlungsalternative, um die Beschwerden bzw. die Tics zu reduzieren, wodurch Patienten ihren Alltag besser meistern können. Im Gegensatz zu den üblichen Medikamenten, die beim Tourette-Syndrom verordnet werden, haben Cannabinoide den Vorteil, dass sie weniger unerwünschte Wirkungen auslösen.
Welche Cannabissorte beim Tourette-Syndrom?
Einzelberichte deuten darauf hin, dass bestimmte Cannabissorten Patienten eine vorübergehende Linderung ihrer Tics beim Tourette-Syndrom verschafft haben, wie zum Beispiel Chemdog, Charlotte´s Web, Strawberry Cherry Gelato, Master Skunk und Life Hack. Vorab sollte das Gespräch mit einem Arzt gesucht werden, da zwischen Cannabis und Medikamenten Wechselwirkungen entstehen können.
Wendest Du medizinisches Cannabis gegen Tics beim Tourette-Syndrom an? Dann berichte uns über die Kommentarfunktion von Deinen Erfahrungen, da dies für Betroffene hilfreich sein kann.
Quellen
[1] Milosev LM, Psathakis N, Szejko N et. al, Treatment of Gilles de la Tourette Syndrome with Cannabis-Based Medicine: Results from a Retrospective Analysis and Online Survey. Cannabis Cannabinoid Res. 2019 Dec 9;4(4):265-274. doi: 10.1089/can.2018.0050. PMID: 31872061; PMCID: PMC6922065, Download vom 16.03.2024 von https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31872061/
[2] Trainor D, Evans L, Bird R. Severe motor and vocal tics controlled with Sativex®. Australas Psychiatry. 2016 Dec;24(6):541-544. doi: 10.1177/1039856216663737. Epub 2016 Aug 24. PMID: 27558217, Download vom 16.03.2024 von https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27558217/
[3] Kanaan AS, Jakubovski E, Müller-Vahl K. Significant Tic Reduction in An Otherwise Treatment-Resistant Patient with Gilles de la Tourette Syndrome Following Treatment with Nabiximols. Brain Sci. 2017 Apr 26;7(5):47. doi: 10.3390/brainsci7050047. PMID: 28445405; PMCID: PMC5447929, Download vom 16.03.2024 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28445405/